Jane Austen: Conservative Feminist
- Lisa Maria

- 19. Dez. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Apr. 2024

Ein Haufen reicher Leute aus dem späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert, Dinnergesellschaften und Spekulationen darüber, wer wen in absehbarer Zukunft vermutlich heiraten und daraufhin ein glückliches Dasein als Familienvorstand fristen wird, gebündelt in mehreren mehrhundertseitigen Romanen voller nachbarschaftlicher Verstrickungen, romantischer Hoffnungen, Enttäuschungen und Erfolge – vorläufiges Urteil: langweilig. Doch wir reden hier nicht von später erschienenen Werken Rosamunde Pilchers (die ja vielleicht doch etwas für sich haben, ich gebe zu: ich las sie nicht), sondern über die hochgradig wertgeschätzten Texte Jane Austens, einer Ikone der Frauenliteratur. Wer einmal zu ihren Büchern gegriffen hat, mag festgestellt haben, dass sie fesseln, ungeachtet des zunächst nicht unbedingt ansprechenden Settings. Kurz und bündig: Was ist da dran, was macht ihr Werk so großartig und war sie Feministin, nur weil sie zu dieser Zeit eine schreibende Frau war?
Writing Women
Zum Thema schreibender Frauen in der Historie sei einführend gesagt, dass (es mag keine Überraschung sein) das Schreiben als Privatvergnügen lange Zeit Frauen der oberen sozialen Schichten vorbehalten war, doch die Ambition, diese Tätigkeit zum Beruf zu machen, war auch hier etwas Ungewöhnliches. Austen selbst wuchs in einem verhältnismäßig gut situierten Geistlichen-Haushalt auf und wurde als Mädchen in überdurchschnittlichem Maß intellektuell gefördert, was schon früh zu ersten Schreibversuchen ihrerseits führte. Sie war nie genötigt, in ein Lohnarbeitsverhältnis einzutreten, sondern lebte von der finanziellen Gunst ihrer Familie und ihren Veröffentlichungen, die sie anonym tätigte – als „a lady“ publizierend lag ihr scheinbar etwas daran, ihre weibliche Identität als Autorin kundzutun. Ob sie Sympathien der britischen Frauenrechtsbewegung, angestoßen von Mary Wollstonecraft, gegenüber hegte, ist nicht überliefert, doch dies wird mitunter vermutet. Es besteht eine Kluft zwischen den romantischen Happy Ends ihrer Romane und der Tatsache, dass sie selbst bis zu ihrem (relativ frühen) Ableben ungebunden blieb, mindestens einen Heiratsantrag sogar ablehnte. Romantischer Firlefanz schien als wiederkehrender Tagtraum und Romaninhalt zur Sichtbarmachung weiblicher Lebensrealitäten durchaus herzuhalten, doch den realen Wünschen einer selbstständigen und erfolgreichen Frau in diesem Fall nicht zu entsprechen.
Was soll nun an weiblichen Lebensrealitäten so wichtig sein und was unterscheidet Austens Texte von modernen Liebesschnulzen? Nicht nur inhaltliche Aspekte wie der Einbezug gesellschaftlicher Dimensionen spielen hier eine Rolle, sondern auch die Tatsache, dass es, besonders im historischen Kontext, als Statement aufzufassen ist, weibliche Alltags- und Gedankeninhalte als relevante und legitime Romaninhalte heranzuziehen. Themen und Inhalte, welche die historisch weibliche Lebenswelt betreffen, galten im männlich dominierten Kreis von Schriftstellern und Verlegern als belanglos und minderwertig. Virginia Woolf schrieb noch ein gutes Jahrhundert später in Ein Zimmer für sich allein in spöttischem Ton:
„This is an important book the critic assumes, because it deals with war. This is an insignificant book because it deals with the feelings of women in a drawing room.” [i]
Doch auch diese Medaille hat eine zweite Seite, wie Simone de Beauvoir (wenn auch auf etwas erbarmungslose Weise) herausstellt, indem sie darüber klagt, dass Schriftstellerinnen sich an weiblich konnotierten Themen wie „alten Häusern, Parks und Gemüsegärten, malerischen Ahnen, widerspenstigen Kindern, Waschtag, Einmachtag, Familienfesten, Kleidern und Frisiertischchen, Salons, Bällen, leidenden, aber vorbildlichen Ehefrauen“ [ii] usw. abgearbeitet hätten, ohne über diese Themen und Möglichkeiten hinauszugehen. Ihr hartes Urteil:
„Es gibt verrückte Frauen, und es gibt Frauen mit Talent, aber keine besitzt jene Verbindung von Verrücktheit und Talent, die man als Genie bezeichnet.“ [iii]
Shots fired, Simone. Meine schüttelnde Faust langsam wieder senkend, muss ich ihr doch zugutehalten, dass ihre Argumentation natürlich so differenziert ist, dass sie Gründe hierfür angibt: nämlich die schlechteren (Aus-)Bildungschancen für Frauen sowie die gesellschaftlich bedingte Geschlechterdynamik, die Frauen dazu bringt, sich stets im für sie vorgesehenen Rahmen aufzuhalten und dort zu verbleiben. Was jedoch Jane Austen angeht, liegt die Vermutung nahe, dass sie geschickt bewerkstelligte, weibliche Lebensrealität abzubilden und gleichzeitig deren gesellschaftspolitische Relevanz herauszustellen und eine Studie der zeitgenössischen Gesellschaft zu entwerfen (was de Beauvoir verkannte). Dies ist leicht deutlich zu machen anhand Austens zwei bekanntester Romane, Stolz und Vorurteil sowie Emma.
Stolz und Vorurteil
Im Mittelpunkt des einflussreichsten Romans Austens von 1813 stehen die Familie Bennet und das Bestreben der Mrs. Bennet, ihre fünf Töchter möglichst erfolgreich zu verheiraten. Hauptfigur ist hierbei die zweitälteste Tochter Elisabeth, die mit einer besonderen Intelligenz und Entschlossenheit ausgestattet ist und das gesellschaftliche Geschehen rund um ihre Familie, ihre Nachbarschaft und ihren Bekanntenkreis aufmerksam verfolgt. Als der besonders unsympathische, doch sehr reiche und adlig abstammende Mr. Darcy in ihrem Umfeld erscheint, fassen beide eine besondere Abneigung gegeneinander, die im Laufe der Zeit seitens Darcy in Zuneigung umschlägt. Ein erster Antrag wird von Elisabeth entschieden abgelehnt und erst nach sichtbarer charakterlicher und Verhaltensänderung Darcys ist sie bereit und befähigt, ebenfalls Sympathie zu ihm zu fassen. Begleitet wird die Geschichte von vielfachen sozialen Verstrickungen, die in der Hauptsache die romantischen Paarbildungen und deren gesellschaftliche Akzeptanz betreffen.
Austen entwirft hier eine weibliche Hauptfigur, die teilweise mit traditionell männlich konnotierten Eigenschaften ausgestattet ist, nämlich mit überragendem Scharfsinn, Geistesgegenwart sowie Willensstärke und Handlungskraft. Dennoch – oder gerade deshalb – ist sich Elisabeth ihrem Frausein und den damit einhergehenden Erwartungen, Rollenmustern und (eingeschränkten) Möglichkeiten deutlich bewusst. Sie bestreitet nicht den Weg, hiergegen zu rebellieren, sondern durch Geschick Kompromisse zwischen individuellen Neigungen und gesellschaftlicher Angemessenheit zu bewerkstelligen. Hierbei wird implizit auf ein Konzept zurückgegriffen, das ebenfalls historisch männlich belegt war, aber von Austen auch ihren weiblichen Figuren beigegeben wird, nämlich: Verantwortung.
Austen illustriert deutlich, wie das Gesellschaftsleben der oberen sozialen Schicht um 1800 beschaffen war und lässt ihre weiblichen Figuren in diesem Zuge Verantwortung für ihre gesamte Familie tragen. Dies bedeutet nicht, dass Elisabeth sich demütig und widerspruchslos mit jemandem verheiraten lässt, den sie schrecklich findet (hiergegen rebelliert sie tatsächlich schon zu Beginn des Buches an). Es bedeutet, dass sie beispielsweise das gedankenlose Verhalten ihrer jüngeren Schwester Lydia, mit einem verschuldeten Spielsüchtigen unverheiratet durchzubrennen, nicht gutheißen kann, da es ihre gesamte Familie in die Gefahr totaler gesellschaftlicher Ausgrenzung bringt. Was sich aus heutiger Perspektive als ein Ausdruck von Slutshaming liest, ist im Zeitkontext betrachtet ein Ausdruck von Elisabeths Verantwortungsbewusstsein. Dieses erscheint dadurch als aufrichtig und reflektiert, dass es nicht den Ausschluss der Schwester aus der Familie zur Folge hat, sondern dazu führt, dass Elisabeth und weitere Angehörige den entstandenen Schaden zu minimieren und Lydias Lebensgrundlage überhaupt zu sichern versuchen.
Emma
In Austens zweitem großen Werk von 1815 sind ein Setting und eine Hauptfigur entworfen, die deutliche Parallelen zu Stolz und Vorurteil aufweisen, in einigen Eigenschaften der Protagonistin jedoch ins Gegenteil umschlagen: Emma Woodhouse, eine wohlhabende und mit ihrem Vater alleinlebende junge Frau hohen gesellschaftlichen Ansehens, ist entschlossen, alleinstehend zu bleiben, um ihre Unabhängigkeit unter ohnehin angenehmen Lebensverhältnissen beizubehalten. Dennoch hat sie größtes Vergnügen am „Ehestiften“, am Zusammenbringen junger Liebespaare. Ungeachtet ihrer ebenfalls herausragenden Intelligenz bemerkt Emma dabei mehrfach nicht, dass ihre Bestrebungen fruchtlos oder geradezu schädlich sind: Es mangelt ihr an realistischem gesellschaftlichen Einschätzungsvermögen und Verantwortungsbewusstsein.
Recht früh im Buch wird dies deutlich, wenn Emma ihre Freundin Harriet mit einem wohlhabenden Herrn aus der Nachbarschaft zu verkuppeln versucht. Das Problem: Harriet ist mittellos, wenig gebildet und sucht bislang die Gesellschaft einer anderen sozialen Schicht, ist sogar mit einer Bauernfamilie eng befreundet. Als Emma sich ihrer annimmt, sorgt sie dafür, dass diese Kontakte unterbunden werden und sogar ein Heiratsantrag seitens des Bauernsohns an Harriet trotz größter Sympathien zwischen ihnen abgelehnt wird. Als sich herausstellt, dass der Nachbar Mr. Elton nicht in Harriet, sondern in Emma selbst verliebt ist und eine „ungünstige Partie“ zur Heirat ohnehin nie akzeptieren würde, wird klar, dass Emma ernstlich Harriets Freundschaften und Zukunftschancen gefährdet hat, geradezu mit deren Wünschen und Hoffnungen spielt. Dies hält sie nur kurze Zeit davon ab, Ähnliches wieder zu planen.
Austen zeigt hier auf humoristische Weise, dass das Handeln von Frauen und auch ihr Liebesleben eine hohe gesellschaftliche Relevanz haben, diese über die Zukunft und die finanzielle Versorgung ganzer Familien entscheiden können. Der standesmäßige Ernst aus Stolz und Vorurteil schlägt in Emma in Satire um. Noch deutlicher als in ersterem Werk wird in Emma jedoch ein Aspekt, der von Austen in gewissem Ausmaß deutlich thematisiert wird, in seiner nur beschränkten Reflexion und Ausdehnung aber ein großer Kritikpunkt an Austens Werken bleibt: ihr Klassenbewusstsein.
Conservative Feminist
Es ist inzwischen klar geworden, dass Austens Werke ein hohes Maß gesellschaftlicher Reflektiertheit transportieren, das stark mit dem Bewusstsein sozialer Schichten zusammenhängt. Was jedoch auffällt, ist 1. dass das soziale Gefälle bei ihr kaum kritisiert wird (ebenso wie die Geschlechterordnung) und 2. dass ihre Darstellung und ihr Klassenbewusstsein sich fast ausschließlich auf die Oberschicht beziehen. Figuren aus der Unterschicht tauchen kaum auf, handeln nur sehr eingeschränkt, werden nicht namentlich benannt oder erfahren üble Schmähreden – letzteres ist zwar eher auf die humoristische Illustration der Arroganz der Protagonistin in Emma zurückzuführen, aber ausgeglichen werden diese Schmähungen lediglich durch wohlwollende Worte und Taten gegenüber „den Armen“, die diesen dennoch keine Präsenz oder Stimme geben. Ein Aufbegehren gegen die Obrigkeit ist lediglich innerhalb der Oberschicht zu beobachten, wenn z.B. in Stolz und Vorurteil Elisabeth Darcys adlige Tante in die Schranken weist, die Elisabeth ebenfalls als „ungünstige Partie“ für ihren Neffen betrachtet, weil sie nicht noch wohlhabender und noch angesehener ist. Die dargestellte tatsächliche Unterschicht scheint jedoch die Oberschicht ganz im Sinne von Güte und Liebenswürdigkeit zu betrachten.
Mehr ist an intersektionalen Betrachtungen aus Austen kaum herauszuholen, da die Darstellung anderer Ethnien, alternativer Lebensentwürfe oder Identitäten bei ihr kaum bis nicht vorhanden ist. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass sie vor guten 200 Jahren lebte. Deshalb kommen wir zurück zu unserer Ausgangsfrage: Ist Jane Austen nun eine Feministin oder nicht? Uns wurde eine Antwort versprochen!
Die Antwort fällt lästig differenziert aus: Man kann Austen in gewisser Hinsicht als feministisch lesen, aber nur in eingeschränktem Maß. Sie setzt fast ausschließlich einen Fokus auf privilegierte Frauen und regelmäßig werden Plattitüden über „die Männer“ oder „die Frauen“ reproduziert. Ebenso werden in ihren Werken traditionelle Werte, Rollen und gesellschaftliche Dynamiken konserviert und kaum gebrochen. Dennoch tritt Austen mit ihren klugen und willensstarken Frauenfiguren (und ihrer eigenen Biografie) für eine Sicht auf weibliche Personen ein, die deren Wichtigkeit, Handlungsfähigkeit und Eigenständigkeit im Rahmen des Möglichen anerkennt. Aus heutiger Sicht (bzw. nach den meisten heute gängigen Spielarten des Feminismus) ist dieser Anspruch natürlich vollkommen unzureichend – doch für eine 1775 geborene, selbstständig arbeitende und publizierende Frau im bürgerlichen Großbritannien: respektabel.
Referenzen
Jane Austen: Stolz und Vorurteil. Ersterscheinung 1813.
Jane Austen: Emma. Ersterscheinung 1815.
[i] Virginia Woolf nach Jehmlich, Reimer: Jane Austen. Darmstadt: wbg 1995, S. 102.
[ii] De Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Reinbek: Rowohlt 1995, S. 874.
[iii] Ebd.
Titelbild: Portrait Jane Austens, Wikimedia Commons, nachbearbeitet






